Flyer holt auf

Flyer holt auf

Die jüngere Geschichte von Flyer erinnert mich ein wenig an die Geschichte der Wang Computer. In den 80er Jahren war Wang Computer eine internationale Grösse in der Welt der Computer mit mehreren Milliarden Umsätzen und bis zu 30‘000 Angestellten, doch als 1992 der überraschende Konkurs ausgerufen wurde, waren alle geschockt. Doch Tatsache war, dass das damalige Management sich auf den Lorbeeren ausgeruht hatte, wichtige Innovationen verschlief und von der Konkurrenz schlicht überholt wurde. Eine Mischung aus Arroganz, Überheblichkeit, Dummheit und Faulheit war dem damaligen Management zum Verhängnis geworden.

Selbstredend geht es bei Flyer nicht um solche Summen und Grössen und auch von Konkurs muss man bei Flyer Gott sei Dank nicht reden, auch wenn Begründer Kurt Schär Ende 2013 von einem Millionen-Schaden sprach, den er der Deutschen Stiftung Warentest zuschrieb, welche im Test vom Juni 2013 das Modell CR5 Deluxe aus der C-Serie als „mangelhaft“ bezeichnete, was zu einem dramatischen Einbruch bei den Verkäufen in Deutschland führte. Von den rund 50‘000 verkauften Velos 2012 hatte man gut die Hälfte in Deutschland abgesetzt. Was der Einbruch für 2013 bedeuten muss, kann jeder selbst ausrechnen. Von einer Millionenklage war die Rede, doch bis heute hat man nichts mehr davon gehört. Tatsache aber ist, dass der Betrieb in den letzten zwei Jahren völlig umgebaut wurde und neue Eigentümer erhalten hat. Der finanzielle Einbruch 2013 steht wohl in direktem Zusammenhang mit dem Einstieg der EGS Beteiligungen AG, eine 100%-Tochter der Ernst Göhner Stiftung, welche heute die Mehrheit des Aktienkapitals an der Biketec AG hält. Kommunikation hat man dazu wenig oder keine betrieben, „Schweigen ist Gold“ wird hier als das heilversprechende Motto angesehen. Auch sonst steht es mit der Kommunikation nicht zum Besten, die letzte Kommunikationsleiterin war telefonisch nie zu erreichen und auch die aktuellen Presseleute melden sich selten und befinden sich angeblich stets in Sitzungen. Krisensitzungen? Von dritter Seite werden einem viele Geschichten zugetragen, mitunter darüber wie das ehemalige Management mit einer gewissen Arroganz gut gemeinte Ideen und Projekte mit einem Schlag vom Tisch fegte, was Indizien dafür sind, dass eine gewisse Überheblichkeit bei Flyer Einzug gehalten hatte, nachdem der Erfolg gar nicht mehr abbrechen wollte. Auch hörte man den einen oder anderen Händler über die Arroganz der Flyer-Verkäufer stöhnen.

Die Palette alterte in den letzten Jahren
Das Verhalten, das Flyer in den vergangenen drei Jahren an den Tag legte, sollte sich rächen, denn die Konkurrenz schläft nicht. Insbesondere mit dem Einzug der deutschen Bosch als Hersteller eigener Antriebssysteme für E-Bikes wurde eine Welle von Neukreationen insbesondere bei deutschen Herstellern losgetreten, die Flyer bald zu schaffen machen sollte. Die Konkurrenz, die einst schlief und Flyer das Feld überliess, ist heute zu einer fast übermächtigen Konkurrenz für Flyer geworden. Der Markt ist heute auf zahlreiche starke Anbieter aufgeteilt und wird heute nicht mehr von einem einzigen Anbieter dominiert wie vielleicht noch vor 6-10 Jahren. Die vorherrschende, ja fast marktbeherrschende Stellung, die Flyer einst in der Schweiz und in der Branche innehatte, ist schon länger verloren und Flyer drohte die Gefahr, mit einer altgewordenen, nicht mehr modernen Palette bald einmal unterzugehen.
Tatsache ist, dass die Flyer-Palette lange nicht modernisiert wurde. Das altgediente Konzept, man nehme einen soliden und nicht unbedingt formschönen Rahmen – nach dem Motto „Stabilität vor Schönheit“ – und paare ihn mit einem Panasonic-Antrieb, hat man bis 2014 noch weitgehend gelebt und hält auch heute noch daran fest als Bestandteil der Palette. Man will wohl das Image pflegen – mit der C-Serie hat man den Erfolg der E-Bikes eingeleitet – und einen treuen Kundenstamm damit bedienen. Was konzeptionell das Modell „Vollblut“ im Sortiment sollte, ist bis heute nicht klar. Klare Aussagen haben wir von Flyer-Mitarbeitern bis heute dazu nicht erhalten. Das scheint bei Flyer wohl niemand zu wissen. Es scheint der Versuch von Flyer gewesen zu sein, auch ein Modell mit einem Nabenmotor anzubieten. Ausgebaut hat man das Modell nicht. Die zahlreichen attraktiven E-Bike-Modelle der internationalen Konkurrenz zwingen den Schweizer Hersteller nun zu einem längst fälligen Schritt.

Modernisierung der Palette ab 2015
Offensichtlich hat dies nun auch das neue Management erkannt und mit der Palette 2015 auf die Konkurrenz aufgeholt. Schön, wenn man nun wieder mit der Zeit geht, sich an den Markt anpasst und die hoheitliche Linie verlässt. Ein moderner Geist wird Flyer gut tun. Auch Flyer bietet nun E-Mountainbikes mit modernem Rahmen und Bosch-Antrieb. Damit hat man den technologischen Rückstand, der sich in den letzten 2-3 Jahren gebildet hatte, deutlich aufgeholt. Es ist zwar keine Innovation in Sicht, die sich von der Konkurrenz abhebt, aber man hat den Rückstand nun deutlich aufgeholt. Bei der Preislage hat man sich noch nicht ganz dem europäischen Denken angepasst, ein Schweizerisches Problem, das könnte bald zum nächsten Stolperstein werden. Die Welt ist heute näher zusammen als je zuvor, insbesondere in Europa sind die Grenzen verschwunden, zu hohe Preise werden die Konsumenten nicht akzeptieren, auch wenn genau solche Anbieter insbesondere in der Schweiz immer das Gegenteil behaupten. Modernste Technologie, modernes Design, Komfort und das zum besten Preis, das ist, was die E-Bike-Kundinnen und –Kunden wollen.

Dank den loyalen Händlern in der Schweiz?
Flyer hat ein sehr loyales und starkes Händlernetz, zumindest konnte ich diesen Eindruck in den vergangenen Jahren gewinnen, wenn ich mit Fahrrad- und E-Bike-Händlern in der ganzen Schweiz sprach, welche die Marke führen und die auch in den letzten Jahren, als die Palette langsam alterte, stets dem Schweizer Hersteller die Treue hielten. Wie gesagt, es handelt sich hierbei um den Eindruck, den ich aus den Gesprächen mit zahlreichen Händlern insbesondere anno 2014 gewonnen habe. Dieser Treue und Solidarität ist es mitunter zu verdanken, wenn es Flyer heute noch in dieser Präsenz (zumindest in der Schweiz) gibt.

Go Flyer, go!
Dem alten Schlachtross, das die erfolgreiche Entwicklung der E-Bikes und deren Kommerzialisierung überhaupt ins Leben rief und das diesen sagenhaften wirtschaftlichen Erfolg der gesamten E-Bike-Branche auf sich vereint, von welchem zahllose Händler, Agenten, Konkurrenten und Dritte in den letzten Jahren profitierten, und welcher insbesondere in seinen Anfängen zu einem grossen Teil der beeindruckenden Energie von Kurt Schär, dem Begründer und ehemaligen Präsidenten der Biketec AG, dem Hersteller von Flyer, zu verdanken ist, ist es zu wünschen, dass es mit einzigartigen und neuartigen Innovationen den E-Bike-Markt von Neuem aufmischt und erneut Furore machen wird, das hätte es verdient. Es ist besonders zu wünschen, dass das neue Management, das 2014 das Ruder im Unternehmen übernahm, es versteht, diesen innovativen, kreativen Geist zu leben, das einst Flyer zu seinem Erfolg verschaffte. In diesem Sinne sage ich: „Go Flyer, go!“

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert