Es ist das erste Mal in den vergangenen Jahren, an welchen ich in Ruhe durch die 11 Hallen in Friedrichshafen schlendern konnte, denn ich hatte mir bewusst den Samstag ausgesucht. Abgesehen hatte ich es in erster Linie auf die zahlreichen E-Bikes, die heute von praktisch allen Marken angeboten werden, und das eine oder andere Schmuckstück, das ich für 2017 ausmachen konnte.
Immer mehr Marken fehlen: Dieses Jahr konnten wir zahlreiche Marken nicht (mehr) ausmachen wie z.B. Trek oder Specialized (machen ihre eigenen Messen), aber auch Felt, Kalkhoff, Haibike und weitere bekannte Bike-Marken, die aus den verschiedensten Gründen in Friedrichshafen nicht mehr präsent sind. Nichtsdestotrotz sollen gegen 1500 Marken aus der Bikebranche ausstellen und das ist doch eine ganze Menge.
Die spanische Marke BH wird poppiger.
Bei meinem Rundgang traf ich natürlich auf eine der erfolgreichsten E-Bike Marken der vergangenen Jahre, deren Palette weiter gewachsen ist, nämlich auf stolze 72 Modelle von 65 Modellen aus diesem Jahr. Noch vor ein paar Jahren war man mit einer Hand voll Modellen gestartet, unglaublich dieses Wachstum. Zu verdanken ist der Erfolg einem stets trendigen Design und einem äusserst gelungenen Preisleistungsmix. Die E-Bikes sind nun noch bunter geworden, damit will man die stets jünger werdende Kundschaft von E-Bike-Käufern ansprechen, was wahrscheinlich ebenso erfolgreich gelingen wird. Die Auswahl an verschiedenen Motorkonzepten der „Emotion“-E-Bikes, so bezeichnet BH seine E-Bike-Linie, ist erstaunlich. 7 separate Modell-Linien werden geführt, na, das nenne ich einmal Auswahl. Da können nur wenige mithalten. Aus diesem Grunde muss man den spanischen Brüdern Beistegui (BH=Beistegui Hermanos, Hermanos bedeutet Brüder) schon eine Leaderstellung im E-Bike Markt einräumen.
Cannondale bisher stiefmütterlich, nun ein Knaller
Überrascht hat mich an der diesjährigen Messe die Marke Cannondale. Die sehr spezielle Marke, die seit Jahren mit einzigartigen Innovationen auftrumpft, war im Bereich der E-Bikes bis anhin sehr stiefmütterlich und konservativ unterwegs. Damit konnte sie nur eingefleischte Cannondale-Fans gewinnen. Nun haut die Marke mit ihren neuen E-Mountainbikes aber einen raus! Mit den neuen „Moterra“-Modellen platziert Cannondale ein optisch attraktives Elektro-Enduro-Bike mit 160 mm Federung im Markt, das zumindest optisch selbst die stärksten Kritiker überzeugt. Was das Teil kann, vermag ein Test zu zeigen, die Homepage von Cannondale tut noch nicht so, wie es sich gehört, Informationen dort zu finden, ist aktuell mühsam, aber es ist ja noch etwas Zeit bis 2017, gell. Kompliment an Cannondale für das Design!
Spitzing, wuchtig in natura
Der bayerische Hersteller M1 Sporttechnik war mit seinem Modell „Spitzing“ ebenfalls an der Messe präsent. Und viel stärker als auf Papier oder online wird Betrachtern der wuchtige Bau des E-Bike Geschosses bewusst. Das ist gelebte Sportlichkeit im Bereich E-Bikes.
Brose, zukunftsweisend & futuristisch
Der Motorenbauer aus Coburg beeindruckte mit seinem futuristischen Konzept an seinem Stand, bei welchem die verschiedenen Motoren- und Display-Konzepte vorgestellt wurden. Seit der Weltmarktführer für Elektromotoren im Autobereich ins Geschäft mit Elektromotoren für E-Bikes eingestiegen ist, hat Deutschland mehr zu bieten als Elektromotoren von Bosch. Seine Stärke stellt er eindrücklich unter Beweis.
KTM: Breite Palette, jedoch nicht auf die Schweiz ausgerichtet
Zu den grossen Marken muss man auch unbedingt die österreichische Marke KTM zählen. Schade, dass die Kommunikation mit dem Hersteller in Österreich immer so distanziert ist. Das Interesse der Österreicher am Schweizer Markt scheint doch sehr beschränkt zu sein, obwohl ihre Palette überzeugt. Insbesondere im sportlichen Bereich war KTM von Anfang an mit E-Mountainbikes dabei, doch auf unsere Anfragen reagiert man bei KTM immer sehr distanziert. Man sollte bei KTM nicht vergessen, dass das Internet global ist und sich auch tausende deutsche und österreichische Leserinnen und Leser bei uns informieren. Der Absatz in der Schweiz ist bis anhin sicherlich noch steigerungsfähig. Begeistern Sie doch die Schweizer etwas mehr als bloss mit einem Verkäufer, der von Velohändler zu Velohändler fährt, dann würde der Absatz von KTM E-Bikes in der Schweiz sicherlich steigen.
Scott: Braucht es das?
Witzigerweise traf man an der Eurobike 2016 auch auf E-Bikes von Scott. Gerade im Mountainbike sponsert Scott erfolgreiche Profi-Teams der Weltelite. Angesichts dieser hoch sportlichen Ausrichtung fragt man sich, wie glaubwürdig das Engagement von Scott im E-Bike Bereich ist. Es ist heute relativ leicht, einen bestehenden oder adaptierten Rahmen zu verwenden, ein Motorenkonzept dran zu bauen und die restlichen Komponenten zu montieren und fertig ist das E-Bike, noch schnell einen Markenkleber drauf und nun heisst es E-Bike von Scott, aber mit Innovation hat dies nichts zu tun. Seit Anfang an hat sich Scott als Mitläufer im E-Bike Markt präsentiert, Innovationen sind mir bis heute keine bekannt. Es fragt sich daher, braucht es ein überhaupt E-Bike von Scott? Ich denke nicht. Einzig eingefleischte Scott-Fans werden sich darum reissen.
Wheeler: optisch verbesserungsfähig
Manchmal trifft man wirklich auf ungewollte Überraschungen an solch einer Messe; dazu gehören z.B. die neuen Modelle des taiwanesischen Herstellers Wheeler mit den Hinterradnaben-Motoren von BionX. Echt grässlich wirken die überdimensionalen Motoren im Hinterrad, das ist in optischer Hinsicht ein klarer Rückschritt, hat man in den vergangenen 5-10 Jahren doch versucht, Hinterradnaben-Motoren immer kleiner zu machen, damit das E-Bike optisch gefällt. Da schüttle ich unverständig den Kopf. Wheeler verbaut aber auch Modelle mit dem Yamaha-Motor, dort sieht es schon viel besser aus. Was die Modelle insgesamt taugen, zeigt nur ein Test.
BESV: TRB1, das optische Highlight
Die kleine taiwanesische Marke ist mir schon dieses Jahr positiv aufgefallen mit einzigartigen Designs, die gewürdigt werden müssen. Leider zeigte sich im Verlaufe des Jahres, dass man auch bei BESV mit gewissen Lieferengpässen zu kämpfen hat, wie in der Branche bekannt. Doch auf der Eurobike 2016 iost das optische Highlight unter den E-Bikes das neue E-Mountainbike-Modell TRB1. Das Design lehnt sich an die Charakteristik eines Motorrades an mit einem Oberrohr im Design eines Tankes, aus welchem man den Akku ziehen kann. Auf äusserst raffinierte und witzige Weise verschmelzen hier Designelemente eines Motorrades und Mountainbikes miteinander. Bei BESV hat man offensichtlich erkannt, dass ein E-Bike ein ganz eigenes Design benötigt, das sich vom klassischen Fahrrad unterscheidet. Gratulation zu dieser Designleistung! Was der 26.5 Kilo-Brocken im Einsatz taugt, muss ein Test hergeben.
Weitere Marken und Modelle
An solch einer gigantischen Messe läuft man sich schnell müde und auch die Eindrücke wiederholen sich. Die sind die verschiedenen Highlights die Momente, für welche man den Ausflug nach Friedrichshafen unternommen hat. Alle Modelle und Marken näher vorzustellen, würde den Rahmen eine solchen Berichtes bei weitem sprengen, aber ich will an diese Stelle gerne als Abschluss die übrig bleibenden Modelle und Marken, die ich als erwähnenswert erachte und die ich auch an der Messe gefunden oder gesehen habe, vorstellen.
Die Modelle von Corratec gewannen meine Aufmerksamkeit mit poppigem Design mit farblich integriertem Motor und knalligen Farben, welche jungen Leuten gefallen werden. Auch Simplon scheint ein neues spannendes Konzept für 2017 bereit zu haben, leider konnte man an der Messe nichts Näheres erfahren, die Leute waren eindeutig zu beschäftigt. Bulls hat eine starke Präsentation seiner Modelle und seiner Marke. Benelli aus Italien dagegen wirkte noch nicht in der Zeit angekommen mit seinen veralteten Konzepten, obwohl das E-Misano auf der Homepage von Benelli der Kracher ist, doch das muss dort untergegangen sein. GT lieferte ein total unglückliches Design. Der Einstieg in die Welt der E-Bikes ist optisch missglückt. Das können die Jungs eindeutig besser. Hercules war sehr breit aufgestellt und hatte verschiedene Konzepte am Start, um eine möglichst breite Kundengruppe anzusprechen. Auch junge Leute zeigen sich mehr und mehr interessiert an motorisierten Mountainbikes. Das Nam:e von Storck wirkte etwas „klobig“, der futuristische Ansatz ging bei dem etwas unförmigen Teil unter. Rotwild wusste zu beeindrucken und auch Grace präsentierte sich mit einem neuen Konzept. An der Messe fanden sich auch Marken, die es in der Schweiz nicht gibt wie z.B. Marken wie Kennys, Exodus oder Maxx. Die Schweizer Marken waren denn kaum präsent. Der einstige Martkführer Flyer stellte in einem überhitzten kleinen Container seine nun als „Premium“ E-Bikes bezeichneten E-Bikes vor. Der Auftritt war denn entsprechend bescheiden für eine Marke, welche die erfolgreiche Eroberung des Marktes mit dem E-Bikes massgeblich initiiert und zu verantworten hat. Der Stromer ging auch etwas unter, ich konnte ihn bewusst nicht wahrnehmen. Aber 2-3 Elektrobike-Modelle ist für einen Anbieter heute zu wenig, um ihm Markt wahrgenommen zu werden. Droht dem Konzept aus dem Berner Oberland vielleicht bald das Aus? Die Eigenbrötler-Kultur der Schweizer Marken hat sich nach all den Jahren gerächt, mit diesem Konzept kommt man in der Welt der E-Bikes heute nicht mehr weit.
Fazit
Alles in allem war die Eurobike 2016 aus Sicht eines E-Bike interessierten Käufers eine tolle Sache. Nirgends finden sich auf so engem Raum so viele Konzepte, Marken und Modelle wieder, welche man auch probefahren kann. Angesichts der Masse der Leute sind die Aussteller mit geschultem Personal, das zu einzelnen Modellen kompetent Auskunft geben könnte, meistens unterdotiert und daher bleiben wichtige Fragen häufig unbeantwortet, das ist der einzige Wermutstropfen. Der Ausflug nach Friedrichshafen hat sich für mich gelohnt und nun steht auch endlich der Bericht.